"Lasst uns nicht fallen!"

Migrationsberatung des DRK Wolfenbüttel macht sich stark

Die Landesbeauftragte für Migration, Doris Schröder-Köpf im Gespräch mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der LAG FW, Marco Brunotte. Bild: LAG FW/Martin Fischer

Von Gesa Lormis, 11.11.2021

Wolfenbüttel. Als 2015 und 2016 tausende Menschen nach Deutschland flüchteten, entstanden überall in Niedersachsen mit Unterstützung des Landes Beratungsstellen für Migration. Jetzt sollen die Gelder dafür eingespart werden – dabei ist der Beratungsbedarf weiterhin hoch. Das Team der DRK Flüchtlings- und Migrationshilfe aus Wolfenbüttel demonstrierte daher mit Kolleginnen und Kollegen vor dem Landtag in Hannover.

Auf den ersten Blick erscheint es logisch: Die Zahl der Menschen, die nach Deutschland kommen, ist in den vergangenen Jahren gesunken. Warum nicht also die Beratungsangebote reduzieren und die frei werdenden Finanzmittel an einer anderen Stelle verwenden? Aline Gauder, Fachleitung der Flüchtlings- und Migrationshilfe des DRK Kreisverbands Wolfenbüttel, hat dafür gleich mehrere Argumente. Eins davon sind die nach wie vor hohen Beratungszahlen: „In den ersten Monaten ging es um  Unterbringung, Sprachelernen und um Abarbeiten von teils stark zeitkritischen Belangen. Aus der Not heraus entwickelte sich häufig eine Vertrauensbasis, für viele sind wir bei allen Fragen des Lebens oder in Bezug auf Ämter und Behörden der erste Ansprechpartner. Und nach wie vor erklären wir Grundlagen und vermitteln weiter.“

Dennoch haben sich die Themenschwerpunkte gewandelt, so ist Hilfe bei Fragen zum deutschen Schulsystem, der Arzt- und Therapeutensuche sowie bei Problemen mit der Arbeitserlaubnis Kernthema. „ In 2020 haben wir trotz der Kontaktbeschränkungen pro Beraterin um die 1.000 Beratungen durchführen können“, so Gauder. Würde dieses niederschwellige Angebot entfallen, müsste der Beratungsbedarf an anderen Stellen aufgefangen werden und würde dort Kapazitäten binden.
Oder er könnte aufgrund von Sprach- und Verständnisschwierigkeiten gar nicht stattfinden. „So fallen Menschen durchs Netz, die eigentlich eine gute Chance haben“, befürchtet sie.

Ein Bild, das auch beim Protest der 200 Migrationsberatungsstellen vor dem niedersächsischen Landtag genutzt wurde: Nach und nach zerschnitten die Beraterinnen und Berater das Netz aus Fäden, das sie zwischen sich gesponnen hatten. Und vor den Augen der vorübergehenden Landtagsabgeordneten fielen mit den Fäden auch Bilder mit Strichmännchen, symbolisch für Beratungskunden, auf den Boden.

Bis zum Jahr 2023 sind Kürzungen der Landesmittel um 48 Prozent geplant, bis 2024 um 70 Prozent. Die Aussicht auf Stellenstreichungen schlägt schon jetzt auf die Arbeit der Beratungsstellen durch: Immer mehr Beraterinnen und Berater, die in den vergangenen Jahren zu Experten und Vertrauenspersonen geworden sind, schauen sich nach anderen Beschäftigungsfeldern um. „Das Wissen und die Expertise, die uns dadurch wegbricht, ist enorm. Neue Mitarbeitende müssen erst eingearbeitet und geschult werden – auch wieder Zeit, in der wir nicht beratend da sein können. Gleichzeitig haben wir gerade durch viel Einsatz, Zeit und Geld ein funktionierendes Hilfe- und Beratungssystem aufgebaut, das mit den Kürzungen verschwinden würde. Daher haben wir mit den Abgeordneten auch darüber gesprochen, dass wir als Mitarbeitende von Wohlfahrtsorganisationen eine Perspektive brauchen“, erklärt Gauder.

Perspektivisch gehören Migration und Flucht weiterhin zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre; neben Klimawandel, Digitalisierung und Demographie. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG FW), die den Protest in Hannover organisierte, rechnet mit 400.000 Zugewanderten pro Jahr, darunter viele Menschen aus osteuropäischen Ländern. Ihre Integration ist ein Prozess, der über Jahre verläuft und immer wieder Hilfestellung benötigt. Daher ist es aus Sicht von Gauder und ihren Kolleginnen angebracht, die Hilfe-Infrastruktur zu erhalten und zu stärken. Sie dem tatsächlichen hohen Nachfragebedarf anzupassen. Auf lange Sicht entlastet dies auch das Sozialsystem und den Arbeitsmarkt.
Ein schlagendes Argument: „Es schafft doch auch keiner die Feuerwehr ab, nur weil gerade kein Haus brennt.“