15 Jahre Wolfenbütteler Tafel

Die ersten Schritte mit einem sozialen Geschäft unternahm der DRK-Kreisverband Im Kalten Tal. Alle Fotos: DRK

Juliane und Achim Liersch bereiten den Rotkreuzshop Am alten Tore für das Jubiläum zum zehnjährigen Bestehen vor.

Hell, einladend – und endlich genug Platz: Dem Roten Kreuz ist mit Eberts Hof am Großen Zimmerhof 29 ein Glücksgriff gelungen.

Von Regio-Press, 13.02.2022

Wolfenbüttel. Seit 15 Jahren können sich Bedürftige auf die Arbeit der DRK-Tafeln im Landkreis Wolfenbüttel verlassen. Ursprünglich in Berlin mit dem Anspruch gegründet, Lebensmittel vor der Mülltonne zu retten, sind die Tafeln heute Rettungsleine, Treffpunkt und Seelsorge für in Not Geratene geworden. Zum Jubiläum blicken Haupt- und Ehrenamtliche zurück und danken für die Spenden aus allen Richtungen, die den Betrieb der Tafeln in Wolfenbüttel und Schladen ermöglichen.

In 15 Jahren wurden etwa 4.000 Bezugskarten für die zwei Tafel-Standorte ausgegeben. Aktuell (Stand: Ende 2021) versorgt die Tafel in der Wolfenbütteler Innenstadt regelmäßig 794 Kunden, die Tafel in Schladen 137. Ein Drittel davon, so die Ehrenamtskoordinatorin des DRK, Aline Gauder, seien Kinder. „Die Gründung der Wolfenbüttler-Tafel geht auf eine Anregung von damaligen Helferinnen der Suppenküche zurück, die sich an die Wohlfahrtsverbände mit dem Wunsch der Errichtung einer Tafel gewandt haben“, berichtet Andreas Ring, Vorstand des DRK-Kreisverbandes.

Nach einem halben Jahr Vorbereitung habe dann das DRK mit sehr begrenzten Mitteln die Tafel an den Start gebracht. „Die Tafeln und Projekte, die aus der Tafel entstanden sind, bilden ein herausragendes Beispiel für ehrenamtliches Engagement in unserer Gesellschaft. Wir sind dankbar und stolz auf unser Tafelteam. Besonderer Dank gebührt natürlich unserer ehrenamtlichen Tafelleitung Juliane Liersch. Ohne dieses Gesicht der Tafel hätte sich die Einrichtung niemals so gut und komplex entwickeln können“, lobt der DRK Vorstand.

 

Die Tafel wird von allen Schichten der Bevölkerung mit Spenden bedacht – mal finanziell, mal mit einem selbstgebackenen Kuchen.

Stefanie Nörenberg und Ines Renner zeigen Baby-Ausrüstung.

Eberts Hof und das glückliche Erbe

Eberts Hof am ,Großen Zimmerhof 29‘ in der Innenstadt ist heute die zentrale Anlaufstelle der DRK-Tafel im Landkreis. Dort laufen neben dem Verkaufsbetrieb in der vorgelagerten Second-Hand-Boutique auch verschiedene Projekte für benachteiligte Schüler und Eltern wie „Tafel packt Babytasche“ und „Tafel macht Schule“. 40 Ehrenamtliche und zwei hauptamtliche Mitarbeiter sind dort beschäftigt. Der Name „Eberts Hof“ geht zurück auf einen Spender aus Ahlum, der das DRK großzügig in seinem Testament bedachte.

„Das war ein großes Glück“, sagt Juliane Liersch, ehrenamtliche Leiterin der Tafel. Sie erinnert sich: „Ganz früher gab es mal nur die Tafel in der Harzstraße, und die Second-Hand-Boutique war ,Im Kalten Tal‘. 2013 sind wir dann zusammengezogen in den Räumen ,Am alten Tore‘.“ 2018 stieß man auf der Suche nach größeren Räumlichkeiten auf einen ehemaligen Supermarkt im ,Großen Zimmerhof‘. Die Renovierung habe „immens hohe Kosten“ verursacht, wie Liersch betont. „Fenster, Heizung und Böden mussten erneuert und Wände eingezogen werden, um die Lebensmittelausgabe zu ermöglichen.“

Genau zu diesem Zeitpunkt starb Klaus Ebert, der das DRK in seinem Nachlass großzügig bedachte. Einen besonderen Grund für seine Wohltätigkeit habe er nicht angegeben. Eine alte Grundig-Konzerttruhe aus dem Nachlass Eberts schmückt heute ebenso die Einrichtung wie sein Name.

Die Tafel-Sortierung am Exer präsentieren (von links) Antje Mönig, Juliane Liersch, Thomas Holste und Recep Nahirci. Holste macht Gebrauch von dem Angebot des „Engagierten Ruhestands“.

Über den ehemaligen Schulhof der „Alten Schule“ in Schladen geht es zur Ausgabestelle der DRK-Tafel. Dort würden sich (von links) Michael Hänschen, Juliane Liersch und Terence Joe Craesmeyer über weitere Mitstreiter freuen.

Erfolgskonzept Boutique

Die Kombination aus der Boutique und der Tafel-Ausgabestelle habe sich bewährt, wie Gauder zu berichten weiß: „Der Hintergedanke mit dem Modell des Geschäfts vorne und der Tafel hinten im Laden war, dass die Leute nicht vor der Tafel anstehen, sondern in ein ganz normales Geschäft gehen und sich erst hinten anmelden“. Flankiert werde diese Diskretion durch ein in Wolfenbüttel erdachtes Terminsystem, wodurch Schlangen bei der Abholung vermieden werden. Auch sei es auf diese Weise möglich, den Bedarf im Voraus mit dem Angebot abzugleichen und gleich entsprechend viele Lebensmittel für alle Kunden zu portionieren.

Ursachen von Bedürftigkeit

Für viele, so Juliane Liersch, sei der Gang zur Tafel gleichwohl immer noch ein Stigma. Das diskrete Angebot in Eberts Hof senke die Hemmschwelle, die sonst groß sei. Liersch seufzt: „Was uns Sorge bereitet ist, dass wir Rentner mit sehr kleiner Rente nicht im größeren Umfang erreichen. Sie betrachten das immer noch als Betteln.“

Gründe für die Bedürftigkeit gibt es viele – nicht nur Arbeitslosigkeit, sondern auch der Verlust des Lebenspartners, das Leben als alleinerziehender Elternteil, Probleme mit dem Aufenthaltstitel, eine schmale Rente und auch Geldprobleme im Studium können Ursachen sein. „Ein schönes Erlebnis ist natürlich immer, wenn ein Tafelkunde kommt und sagt: ,Ich habe einen Job gefunden und brauche eure Hilfe nicht mehr.‘“ Die Dankbarkeit der Tafelkunden sei auch das, was viele in ihrer Tätigkeit dort als erfüllend sehen.

Die Gesichter der Tafel

So auch Susanne Smyczek, die seit der Gründung in Wolfenbüttel vor 15 Jahren hauptamtlich für die Tafel arbeitet. Gekommen sei sie damals für einen 1-Euro-Job, geblieben sei sie wegen der Menschen: „Die Kunden sind unheimlich dankbar. Manchmal backt uns jemand einfach einen Kuchen, zeigt uns Fotos der Familie oder schickt uns Weihnachtskarten. Das ist sehr berührend.“

Das menschliche Gesicht der Tafel bewegt auch Ehrenamtliche wie Karin Jansen. Die Rentnerin ist seit vier Jahren dabei: „Mein Mann ist verstorben und ich war alleine zu Hause. Da bin ich einfach reingegangen und hab gefragt, ob ich helfen kann.“ Geblieben sei sie aber nicht nur wegen der netten Kollegen und der tollen Kunden: „Ich wohne in einem Haus mit vielen älteren Menschen. Hier beim DRK treffe ich auch jüngere Leute mit ganz anderen Gesprächsthemen.“

Auf der Suche nach Ehrenamtlichen

Die Suche nach Ehrenamtlichen geht jedoch weiter: Insbesondere in der ,Alten Schule‘ Schladen fehlt es an Man- und Womanpower. Dieser Standort konnte gerade im vorigen Jahr durch den Erlös aus der Lidl-Pfandspende renoviert und so zum „Wohlfühlort“ gemacht werden. „Alle bisherigen Mitarbeiter haben sich hier sehr wohlgefühlt“, unterstreicht der Ausgabe-Leiter Michael Hänschen. „Aber wir brauchen weitere Unterstützung, gerne direkt aus Schladen.“

Die Möglichkeiten sich zu engagieren, beschränken sich nicht nur auf das Ehrenamt. Auch Freiwilligendienste und der sogenannte „engagierte Ruhestand“ sind möglich. „Es gibt Arbeitgeber, die sagen, dass ihre Mitarbeiter ohne Abstriche früher in den Ruhestand gehen können, wenn sie 1.000 Stunden in einer sozialen Einrichtung ableisten“, erklärt Gauder. „Der ein- oder andere bleibt dann auch langfristig“, fügt sie hinzu. Wer dafür geeignet ist? „Man muss Lust darauf und darf keine Berührungsängste haben“, rät die Ehrenamtskoordinatorin. „Man muss einfach das Herz am rechten Fleck haben!“ Wer Interesse an einer Tätigkeit bei der Tafel hat, kann sich bei Juliane Liersch per Telefon unter 05331/948655 oder per E-Mail unter ehrenamt@drk-kv-wf.de melden.

Die aufwändige Logistik dahinter

Hinter der Arbeit mit den Kunden steckt auch die Logistik der Tafeln, die ihren Sitz am Exer 19 hat. Die Lebensmittelspenden werden dort zentral angeliefert und vorsortiert, bevor sie die Ausgabestellen erreichen. Dort sortieren es die Mitarbeiter je nach Tagesbedarf und angemeldeten Kunden in Kisten. Nach Schätzung der Sortier-Leiterin Antje Mönig gut zwei Tonnen Ware pro Monat – und ein Novum durch die Pandemie, das man beibehalten möchte. Der DRK-Betrieb der Tafeln sei durch die aufwändige Logistik, Mieten, Renovierungen, Instandhaltung und weitere Posten trotz kleinerer Erlöse aus dem Verkauf und Spenden defizitär. Das „sei kein Geheimnis“, wie Liersch betont. Über hunderttausend Euro fließen jedes Jahr in diese sozialen Einrichtungen. Eine Förderung durch Stadt oder Landkreis erfolgt nicht.

Spenden, die ans Herz gehen

Doch der Ursprungsauftrag der Tafel, etwas gegen Lebensmittelverschwendung zu tun, steht nach wie vor an erster Stelle. Das machen die Tafel-Verantwortlichen des DRK immer wieder deutlich. Gauder glaubt, dass es immer eine Berechtigung für die Tafel geben wird. Auch die Bedürftigkeit werde ja größer, wie Liersch zustimmend hervorhebt: „Ein Wunsch wäre natürlich, dass es die Tafel nicht mehr braucht. Aber es wird immer Bedürftigkeit geben.“

Umso glücklicher sei man über Spenden und Erlöse aller Art aus Märkten, Vereinen und Serviceclubs. Doch auch viele private Spenden kommen – und die gehen manchmal ans Herz. „Die Kindertagesstätte Hoppetosse hat über eine Weihnachtsaktion 200 Euro und einen unglaublich schönen Brief und gemalte Bilder zu uns gebracht“, erzählt Liersch und fährt fort: „Eine der schönsten Privatspenden war am Anfang der Corona-Zeit. Da gab es ja diesen Kinderbonus und eine Familie hat gesagt, den brauchen wir nicht, unsere Kinder sind gesund.“ Das Geld habe man der Tafel zur Verfügung gestellt, und sich mit den Kindern vor Ort die Arbeit der Helfer zeigen lassen. Der Kindergarten Linden würde darüber hinaus in der Weihnachtszeit regelmäßig Lebensmittel sammeln, die Kinder verpacken diese dann und geben sie der Tafel.

Die Tafel-Ausgabe in Wolfenbüttel ist im hinteren Teil des Eberts Hof zu finden, am Großen Zimmerhof 29. Dort arbeiten unter anderem (von links) Susanne Smyczek, Juliane Liersch, Timo Franzka und Stefanie Nörenberg.

Second-Hand-Boutique und Tafel sind durch eine Glaswand getrennt. Hier schiebt Uwe Rump-Kahl gespendete Ware hinein, daneben steht die Musiktruhe von Stifter und Namensgeber Klaus Ebert.

Ein verlässliches Netzwerk

Was sich in den Jahren verbessert hat, so Gauder, sei das Bewusstsein in der Bevölkerung zum Thema Nachhaltigkeit. „Deswegen sind die Spenden aber nicht weniger geworden“, so die Ehrenamtskoordinatorin. „Wir haben uns ein gutes Netzwerk aufgebaut und können mit gewissen Spenden rechnen.“
Zwei Lebensmittelspender der ersten Stunde sind Jörg Pacholski vom Edeka-Center am Rehmanger und Carsten Richter von der Altstadtbäckerei Richter. Beiden seien die Lebensmittelspenden an die Tafel eine Selbstverständlichkeit, wie sie ohne nachzudenken sagen.

Richter spende täglich Backwaren, weil „wir das schon immer so machen“. Für ihn sei das soziale Engagement selbstverständlich, auch weil er selbst immer ehrenamtlich tätig war und es nach wie vor ist: „Das Ehrenamt hat in unserer Familie Tradition. Es werden täglich so viele gute, essbare Lebensmittel weggeworfen, und die Tafel ist ein guter Weg, dem entgegenzuwirken und Bedürftigen damit zu helfen.“

Dieser Meinung ist auch Pacholski: „Diese Sachen nicht an die Tafel zu spenden, wäre einfach Lebensmittelverschwendung.“ So sei er auch ganz selbstverständlich Partner für die Tafel-Aktion des Serviceclubs Round-Table Wolfenbüttel-Salzgitter geworden, wobei 2020 zahlreiche Lebensmittelspenden für die Tafel zusammenkamen.

Ein Blick in die Zukunft

Dass die Tafel einmal nicht mehr benötigt wird, ist unwahrscheinlich. Für die Zukunft wünschen sich Juliane Liersch und die tafelerfahrene Susanne Smyczek weiterhin großzügige Spenden, und dass „die Lebensmittelhändler einmal in sich gehen und sich für eine Zusammenarbeit mit der Tafel entscheiden.“

Es gebe noch viel zu tun, so die beiden Frauen einhellig. Auch die Akzeptanz der Tafel und ihrer Kunden müsse sich noch verbessern. „Die Menschen sollten sich informieren, wieso gibt es die Tafel und wer sind die Kunden?“ Dazu können sie gerne in den Eberts Hof kommen und sich dort informieren. „Dass sich mehr Menschen, die unsere Unterstützung benötigen, auch trauen, zu uns zu kommen“ sei weiterhin oberstes Ziel, so Gauder.

Die Tafel und die Second-Hand-Boutique gibt es am Großen Zimmerhof weiterhin von Montag bis Freitag von 9.30 bis 13 Uhr und am Donnerstag zusätzlich von 14 bis 17 Uhr. Der Standort in Schladen ist jede Woche Freitags von 12 bis 14 Uhr geöffnet – seit 15 Jahren fast durchgängig. „Gerade die Pandemiesituation hat große Rückschläge für uns gebracht. Dass wir abgesehen von zwei Wochen immer für unsere Kunden da sein konnten, zeugt von einem harmonierenden und gefestigten System rund um alle drei Standorte!“, so Gauder abschließend.